ZWH 01-02/2025
Rechtssprechung -Wirtschaftsrecht
„§ 266a StGB und Big-Tech-Konzerne" - eine Anmerkung
ZWH0074209
Dr. Katharina Rausch-Bernsmann*
Die Abgrenzung des „Arbeitgebers" von Scheinselbständigen ist eines, wenn nicht das zentrale Problem bei Auslegung der Vorschrift des § 266a StGB. Die Anmerkung versucht zu zeigen, dass die Big-Tech (GAFA) Konzerne in ihrer ggf. weltumfassenden Arbeitgeber-Rolle noch nicht angemessen gewürdigt werden.
I. Zur Einführung: ein Fall aus der Praxis
Das Strafrecht reagiert in Theorie und Praxis nicht selten mit einiger Verspätung auf gesellschaftliche, wirtschaftliche oder wissenschaftliche Entwicklungen, die eigentlich eine prompte Reaktion auslösen müssten. Um eine solche bislang folgenlose, aber einer strafrechtlichen Reaktion möglicherweise bedürfenden Entwicklung könnte es derzeit im Einzugsbereich der Vorschrift des § 266a StGB („Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt") gehen: Beim Umgang mit dieser Vorschrift hat insbesondere die Justiz - wie es scheint - noch nicht ausreichend, bzw. überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, dass - ermöglicht durch das Internet - sog. Big-Tech-Plattformen, vor allem auch im Bereich der Dienstleistungen, in zuvor kaum vorstellbarem Umfang weltumfassend-transnational agierende Konzerne entstanden sind, die - zumindest faktisch - als „Arbeitgeber" für eine i.S.v. § 266a StGB kaum übersehbare Zahl von Zustellungsdienstleistern in Betracht kommen könnten.
In der Praxis geht es, an dieser Stelle, hier angelehnt an eine Entscheidung des LG Köln vom 8.4.2024,1 in der Regel um folgenden Sachverhalt:
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Rechtssache P. ./. Deutschland
(Individualbeschwerde Nr. 22692/15)
URTEIL
Strassburg
8. März 2018
In der Rechtssache P. ./. Deutschland
verkündet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion), als Kammer
mit den Richterinnen und Richtern
André Potocki, Präsident,
Angelika Nußberger,
Yonko Grozev,
Carlo Ranzoni,
Mārtiņš Mits,
Lәtif Hüseynov und
Lado Chanturia
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
nach nicht öffentlicher Beratung am 30. Januar 2018
das folgende, an diesem Tag gefällte Urteil:
Verfahren
- Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 22692/15) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein russischer Staatsangehöriger, P. („der Beschwerdeführer“), am 11. Mai 2015 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.
- Der Beschwerdeführer wurde von Frau R., Rechtsanwältin in K., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch zwei ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Frau K. Behr und Herrn H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, vertreten.
Lesen Sie nachfolgend das gesamten Urteil:
Strafrecht - Vorabentscheidung
In dem Ermittlungsverfahren gegen Herrn M.
In obiger Sache wird beantragt,
A.
I. die Staatsanwaltschaft darauf aufmerksam zu machen, dass die vorläufige Einstellung des hiesigen Verfahrens gegen M. (im Weiteren: M.) gem. § 154 Abs. 1 StPO „im Hinblick auf die Vorwürfe aus dem A.R.E.S.-Verfahren der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria … im Hinblick auf die in Italien zu erwartende Strafe“ nicht darauf gestützt werden kann, dass „die italienische Strafjustiz Priorität“ genieße,
so aber: Vfg. StA Duisburg 121 Js 10/16 vom 27. Mai 2019, Bl. 007385 d. A. –
II. die Staatsanwaltschaft daher unter Hinweis auf die aus dem Legalitätsprinzip sich für sie ergebende unbedingte Pflicht zur Verfolgung von in dieser Hauptverhandlung ausnahmslos in Rede stehenden Offizialdelikten (vgl. §§ 152 Abs. 2; 160; 163 StPO) aufzufordern, bezüglich der von der vorläufigen Einstellung erfassten Taten, eine Anklage zu erheben, die den unionsrechtlichen Anforderungen entspricht; und diese Anklage – um jede weitere Verzögerung des hiesigen Verfahrens zu vermeiden – unverzüglich mit hiesiger Anklage zu verbinden.
Festvortrag auf der 18. Fakultätsfeier der Juristischen Fakultät der RUB
Prof. Dr. Klaus Bernsmann
Liebe Absolventen, liebe frischgebackenen Doktores der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Die besondere Ehre, den Festvortrag auf der 18. Fakultätsfeier der Juristischen Fakultät halten zu dürfen, verdanke ich – wie ich von dem Herrn Dekan, Prof. Wolters – weiß, meiner offenbar besonderen persönlichen Beziehung zu dieser Fakultät. Zumindest dürfte es tatsächlich auch nur noch wenige Personen geben, die so lange und so dauerhaft eng mit der Juristischen Fakultät der RUB zu tun hatten, wie ich.
Ich habe mein Jura-Studium in Bochum im Jahre 1966 begonnen – 2 Semester nach Aufnahme des Lehrbetriebes an der RUB. Ich habe deutlich mehr Semester Jura studiert als heute als Regel gilt – es waren wohl 13.
RECHTSPRECHUNG - STRAFRECHT
Plädoyer Prof. Dr. Klaus Bernsmann
In Sachen S. R., LG Bochum
Hohes Gericht,
sehr geehrter Herr Staatsanwalt,
wehrte Mitverteidiger*Innen,
vorweg: Auch ich werde begründen, dass Herr R. wegen der hier angeklagten Taten nicht schuldig gesprochen werden kann. Dabei werde ich nur ganz am Rande Rückgriff auf eine Würdigung der Beweis nehmen. Auch das wäre – wie die Plädoyers von Herrn B. und Frau C. gezeigt haben – mit gleichem Ergebnis zwanglos möglich.
Zur Sache:
Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, im Strafverfahren gehe es um die Erforschung des wahren Sachverhalts als Grundlage einer gerechten Entscheidung. Der Bundesgerichtshof schränkt die Wahrheitssuche bekanntermaßen ein: Ein Streben nach Wahrheit um jeden Preis dürfe es nicht geben. Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip seien Grenzen der Wahrheitserforschung.
Beide Maximen spielen in diesem Verfahren eine Rolle. Die erste Frage, auf die ich näher eingehen werde, ist, ob die Ermittlungsbehörden und die beiden mit dieser Sache beschäftigten Strafkammern sich ausreichend Mühe gegeben haben, die Wahrheit zu finden. Die zweite Frage, ob – umgekehrt – hier eingesetzte Methoden der Beweisbeschaffung durchgängig mit rechtsstaatlichen bzw. menschenrechtlichen Vorgaben vereinbar sind, werde ich nur streifen.
Zum Letzteren hat sich die Kammer, entsprechend ihrer offenbar grundsätzlich wenig kommunikativen Verhandlungsführung bislang nicht bzw. nur undeutlich geäußert. Auf diese Frage kommt es allerdings auch nicht entscheidend an.
RECHTSPRECHUNG - STRAFRECHT
Plädoyer Prof. Dr. Klaus Bernsmann 14. Februar 2023
In der Strafsache M., Landgericht Essen
I.
1. Zu den urteilserheblichen Tatsachen werde ich mich nicht weiter äußern. Darum geht es nicht mehr. Es geht um schuldangemessene Strafzumessung und die Beachtung von Formerfordernissen der Strafprozessordnung. Herr M. hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Ein Geständnis, auf das sich die Kammer in einem kürzlich gefassten Beschluss ausdrücklich beruft. Ein Geständnis, das, so die Kammer, eine Beweisführung über die per Encro-Chat erlangten Daten entbehrlich mache.
So war das Geständnis auch gedacht – umfassend, zur Beschleunigung und Vereinfachung eines ansonsten möglicherweise schwierigen Verfahrens. Das Geständnis war verbunden mit der Anregung, sich gem. § 257 c StPO zu verständigen. Warum es nicht einmal den Versuch einer Verständigung gegeben hat, erschließt sich mir nicht. Wir haben doch inzwischen auch ohne Verständigung in einem abgetrennten Verfahren verhandelt. Man hätte sich wohlmöglich einige Probleme erspart.
Was die Vorsitzende zu diesem Thema gesagt hat, habe ich nicht verstanden. Ich war nicht nur, aber auch in Verfahren vor dem Landgericht Essen an einigen erfolgreich, d. h. bis zur Rechtskraft des Urteils problemlos durchgeführten Verständigungen beteiligt. Dazu bedurfte es nur der prozessüblichen Fairness.
Rechtsprechung - Strafrecht
Aufhebung Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 16.08.2021
In der Ermittlungssache gegen "G" hat der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesferichts in Hamburg am 28.12.2022 beschlossen, dass der Haftbefehl des Amtgerichts Hamburg vom 16.08.2021 aufgehoben wird.
OLG Hamburg, Beschl. v. 28.12.2022
Gründe:
Die Entscheidung ergeht aufgrund der Eilbedürftigkeit zunächst ohne schriftliche Gründe.
Transparenzregister - „Ein Geschenk für Putins Freunde"
Meinung von Prof. Dr. Klaus Bernsmann
(Textauszug)
... Klaus Bernsmann, Professor für Strafrecht an der Ruhr-Universität Bochum, hingegen meint, die Entscheidung sei „im Hinblick auf den Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte und des Rechts auf Eigentum zu begrüßen". Der Gerichtshof habe klargemacht: „Die allgemeine Öffentlichkeit hat kein Recht, Informationen über wirtschaftlich Berechtigte eines Unternehmens zu bekommen." ...
Lesen Sie nachfolgend den gesamten Artikel:
ZWH 09/2022
Rechtsprechung - Steuerstrafrecht
Zur Umsatzsteuerpflicht von Bordellbetreibern für die von Prostituierten in einem Bordell erbrachten Leistungen
AO § 370; UStG § 2 Abs. 1, § 13a Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, § 18 Abs. 1
Für die Frage, ob hinsichtlich der in einem Bordell durch Prostitutionsleistungen erwirtschafteten Umsätze der Bordellbetreiber oder die dort jeweils tätige Prostituierte als Schuldner der Umsatzsteuer gem. § 13a Abs. 1 Nr. 1 Var, 1 UStG und als erklärungspflichtig nach g 18 Abs. 1 und 3 UStG anzusehen ist, ist darauf abzustellen, wer nach zivilrechtlichen Grundsätzen als Leistungserbringer gilt.
(nicht amtl.)
BGH, Beschl. v. 5.5.2022 -1 StR 475/21
(LG Kleve)
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen verurteilt, und zwar den Angeklagten J. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und die Angeklagte U. unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem anderen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten; die Vollstreckung beider Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen beide Angeklagte als Gesamtschuldner angeordnet.
Die jeweils auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg und führen zum Freispruch der Angeklagten aus tatsächlichen Gründen sowie zum Wegfall der Einziehungsentscheidung.
Große Vorlesung: Strafprozessrecht Wintersemester 22/23
von Prof. Dr. Klaus Bernsmann


ZWH 10/2021
Rechtsprechung - Steuerstrafrecht
Einziehung des Wertes von Taterträgen bei Sicherstellung steuerpflichtiger Tabakwaren
Bei Hinterziehung von Tabaksteuer ist ein unmittelbar messbarer wirtschaftlicher Vorteil im Sinne eines erlangten Etwas gem. §§ 73 Abs. 1, 73 c Abs. 1 StGB nur gegeben ist, soweit sich die Steuerersparnis im Vermögen des Täters dadurch niederschlägt, dass er aus den Tabakwaren einen Vermögenszuwachs erzielt.
(nicht amtl.)
BGH, Beschl. v. 23.7.2020 - / StR 78/20 (LG Potsdam)
Gründe:
Das Landgericht (LG) hat den Angeklagten M. wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen i.H.v. 10.832.298,70 € angeordnet Die Angeklagten Me. und P. hat es jeweils wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr (Me.) bzw. einem Jahr und drei Monaten (P.) verurteilt und insoweit festgestellt, dass die Freiheitsstrafen jeweils durch die Untersuchungshaft „verbüßt" sind. Ferner hat das LG beim Angeklagten Me. 1.949.087,40 € und beim Angeklagten P. 1.861.730 € als Wert von Taterträgen eingezogen. Darüber hinaus hat es die in den Fällen 32 und 33 der Anklage sichergestellten 13,53 Millionen bzw. 13,26 Millionen Zigaretten eingezogen und die Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten - der Angeklagte M. rügt zudem die Verletzung formellen Rechts - erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.