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Bernsmann · Rausch · Schnatenberg*
Wir sind Verteidiger

RECHTSPRECHUNG - STRAFRECHT

Plädoyer Prof. Dr. Klaus Bernsmann

In Sachen S. R., LG Bochum

Hohes Gericht,
sehr geehrter Herr Staatsanwalt,
wehrte Mitverteidiger*Innen,

vorweg: Auch ich werde begründen, dass Herr R. wegen der hier angeklagten Taten nicht schuldig gesprochen werden kann. Dabei werde ich nur ganz am Rande Rückgriff auf eine Würdigung der Beweis nehmen. Auch das wäre – wie die Plädoyers von Herrn B. und Frau C. gezeigt haben – mit gleichem Ergebnis zwanglos möglich.

Zur Sache:

Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, im Strafverfahren gehe es um die Erforschung des wahren Sachverhalts als Grundlage einer gerechten Entscheidung. Der Bundesgerichtshof schränkt die Wahrheitssuche bekanntermaßen ein: Ein Streben nach Wahrheit um jeden Preis dürfe es nicht geben. Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip seien Grenzen der Wahrheitserforschung.

Beide Maximen spielen in diesem Verfahren eine Rolle. Die erste Frage, auf die ich näher eingehen werde, ist, ob die Ermittlungsbehörden und die beiden mit dieser Sache beschäftigten Strafkammern sich ausreichend Mühe gegeben haben, die Wahrheit zu finden. Die zweite Frage, ob – umgekehrt – hier eingesetzte Methoden der Beweisbeschaffung durchgängig mit rechtsstaatlichen bzw. menschenrechtlichen Vorgaben vereinbar sind, werde ich nur streifen.

Zum Letzteren hat sich die Kammer, entsprechend ihrer offenbar grundsätzlich wenig kommunikativen Verhandlungsführung bislang nicht bzw. nur undeutlich geäußert. Auf diese Frage kommt es allerdings auch nicht entscheidend an.

Zur Wahrheitsermittlung:

Ich habe als Hochschullehrer Jahrzehnte u.a. auch damit verbracht, die soeben angeführten strafprozessrechtlichen Vorgaben höchster Gerichte Studierenden nahezubringen. Ob das gelungen ist, weiß ich naturgemäß nicht. Als Verteidiger musste ich allerdings immer wieder erleben bzw. erdulden, wie wenig von dem Postulat der gründlichen Wahrheitserforschung zur Herstellung einer gerechten Entscheidung in der gerichtlichen Praxis häufig nur übrigbleibt. Das Verfahren betreffend Herrn R. ist ein weiterer Beleg für meinen daraus rührenden Pessimismus.

Damit meine ich das hiesige Verfahren, noch mehr aber das Parallelverfahren vor der 11. Strafkammer, das Herrn R. unmittelbar gar nicht betraf, wohl aber, mit möglicherweise präjudiziellen Wirkung, tatsächlich erheblich betroffen haben könnte. Hierher gehört aber auch die von der hiesigen Kammer mehrfach zum Ausdruck gebrachte Geringschätzung der Vorschrift des § 244 Abs. 2 StPO, die mit dem strengen Wahrheitsfindungsgebot des Bundesverfassungsgerichts sicher nicht vereinbar ist.

Zur Missachtung von § 244 Abs. 2 StPO wird im Falle einer Verurteilung von Herrn R. zunächst der Bundesgerichtshof befinden.

Mein spezieller Vorwurf richtet sich gegen das – gleichsam in Mittäterschaft von der 11. und der 12. Strafkammer zu verantwortende – Auseinanderreißen eines einheitlichen Geschehens: der Produktion von Amphetamin - zu zwei Verfahren mit für die Wahrheitsfindung und damit zugleich die Gerechtigkeit fatalen Folgen: Das hiesige Gericht, das eigentlich völlig eigenständig über die Schuld von Herrn R. zu entscheiden hat, ist durch diese Aufspaltung eines einheitlichen Verfahrens durch Entscheidungen einer benachbarten Strafkammer, die dazu gar nicht berufen war, in ein geradezu klassisches Dilemma manövriert worden. Und es scheint bislang, dass das hiesige Gericht das Dilemma nicht hinreichend erkannt hat, jedenfalls nicht auflösen kann oder nicht auflösen will. Es geht um Folgendes:

Eine Verurteilung von Herrn R. als Täter kommt nur in Betracht, wenn die Kammer mit der für eine Verurteilung unbedingt erforderlichen subjektiven Sicherheit – zur Erläuterung für die verehrten Schöffinnen: mit subjektiver Sicherheit ist gemeint – mit uneingeschränkter Gewissheit – der Überzeugung sein wird, Herr R. sei Täter der ihm vorgeworfenen Taten - und nicht etwa nur Gehilfe oder – wie ich meine - überhaupt nicht an den angeklagten Taten beteiligt gewesen. Täter der hier angeklagten Taten wäre Herr R. etwa dann, wenn er die Person gewesen wäre, die die für die Produktion von Amphetamin ebenso notwendige, wie in diesem Verfahren, was z.B. Herkunft und Handelswege angeht, völlig im Dunklen gebliebene Substanz, Apaan, bzw. einen Apaan ersetzenden, ebenso schwierig zu beschaffenden Stoff, geliefert hätte. Dann hätte Herr R. über die für eine Täterschaft erforderliche sog. Tatherrschaft verfügt – als Monopolist in Bezug auf den nur schwer erhältlichen Grundstoff für die Amphetaminherstellung – besessen.

Tatherrschaft hätte Herr R. auch dann besessen, wenn er das fertige Amphetamin verkauft oder die finanziellen Mittel zur Produktion des Amphetamins zur Verfügung gestellt hätte.

Wenn diese oder nur eine dieser Möglichkeiten zur sicheren Überzeugung der Richterinnen feststünde, insoweit also – nach dem strafprozessualen Wahrheitsbegriff – von einem wahren Sachverhalt auszugehen wäre, könnte Herr R. gemäß der Anklage verurteilt werden.

Nach dem Ergebnis der hiesigen Beweisaufnahme kann aber keine Richterin ernsthaft der festen Überzeugung sein, eine dieser Möglichkeiten liege vor: Die Beschaffung aller sonstigen in diesem Verfahren erörterten Substanzen zur Amphetaminproduktion bzw. ein bloßer An- und Abtransport des Amphetamins könnten Herrn R. nicht zum Täter machen. Alle Zutaten, die – außer Apaan - zur Produktion von Amphetamin erforderlich sind, sind im Handel - und daher für jedermann leicht zugänglich. Dies hat ein Zeuge am Beispiel von Salzsäure anschaulich dargelegt.

Soweit die Kammer daher zu einer Verurteilung von Herrn R. wegen täterschaftlicher Begehung von Handlungen iS des BtMG gelangen würde, könnte dies nur unter Bezugnahme auf die von dem Zeugen, genauer Kronzeugen, D., vor allem in dem Herrn D. geltenden Verfahren vor der 11. Strafkammer getätigten Aussagen begründet werden. Dies hätte aber zur Voraussetzung, dass die hiesigen Richterinnen, ich nähere mich dem angesprochenen Dilemma, von der Wahrheit im Verfahren vor der 11. Strafkammer von Herrn D. behaupteten Tatsachen ausgehen könnten bzw. dürften. Beides ist sehr zweifelhaft, weil die Aussagen des Herrn D. in der Hauptverhandlung vor der 11. Strafkammer durch kein Konfrontationsrecht des Herrn R. oder seiner Verteidigung iSv Art. 6 Abs. 3 lit d. EMRK in Frage gestellt werden konnten.

In der Hauptverhandlung vor der hiesigen Strafkammer ist es wegen des von Herrn D. großflächig wahrgenommenen Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 StPO erst gar nicht zu einer nennenswerten Konfrontation gekommen.

Sind die von Herrn D. behaupteten Tatsachen, die Herrn R. belasten nach Maßgabe dieser Einschränkungen – Angaben vor einer fremden Kammer und fehlende Konfrontation - also wahr? Können die Angaben des Herrn D. wirklich die Grundlage für eine feste Überzeugung der Mitglieder dieser Kammer begründen, Herr R. sei aufgrund einer nur ihm möglichen Beschaffung von Apaan der Chef im Hintergrund der Amphetaminproduktion in Herten gewesen? Am Tatort war Herr R. jedenfalls nicht. Das hätte u.a. der überaus eilig, ich meine viel zu eilig, von der Kammer hingenommene, um nicht zu sagen allzu bereitwillige und ungenügend gerechtfertigte Verzicht auf die Aussage der Frau E. möglicherweise zeigen können. Wie die Kammer in ihrem Beschluss von 16.06.2023 die angebliche Unerreichbarkeit dieser Zeugin, offenbar ohne einen nähren Blick in die einschlägige Rechtsprechung und Kommentierung zu nehmen, bzw. ernst zunehmen, bejahen kann, ist mir nach wie vor unverständlich.

Das Dilemma der Kammer liegt, um das noch einmal klarzustellen, in Folgendem begründet: Diese Kammer hat offenbar von Vorneherein auf die ihr von Gesetzes wegen zustehende Freiheit bzw. sie treffende Wahrnehmung der Pflicht verzichtet, sich den Bekundungen des Herrn D. mit der der Kammer zustehenden Autonomie bzw. Unbefangenheit zu nähern. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn auch in dieser Hauptverhandlung der Grundsatz der Unmittelbarkeit gegolten hätte. Dann wäre es allein darauf angekommen, was Herr D. in dieser Hauptverhandlung gesagt hat. Das war aber äußerst wenig:

Was er in einem anderen Verfahren, also dem vor der 11. Strafkammer, gesagt hat und wie das dortige Gericht den Wahrheitsgehalt dieser Aussage bewertet hat, dürfte in diesem Verfahren überhaupt keine Rolle spielen. Vorliegend hat aber, die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes in dieser Hauptverhandlung faktisch nachhaltig beeinflussend, die 11. Kammer die Aussage des Herr D. bewertet und das Ergebnis dieser Bewertung zugleich mit einer die hiesige Hauptverhandlung schwerwiegend beeinträchtigenden Folge versehen:

Die 11. Kammer hat Herrn D. geglaubt. Dies, obwohl er vieles, eigentlich in sein Wissen Gestelltes, nicht offenbart hat. Er hat z.B. nicht angegeben, wo man Apaan erwerben kann, obwohl – inzwischen – feststeht, dass er in Herten nicht zum ersten Mal als sog. „Koch“ tätig gewesen ist. Offen ist bis heute allerdings geblieben, in wie vielen Fällen Herr D. tatsächlich schon sonst als „Koch“ tätig gewesen ist. Nur einmal, dreimal, vielleicht auch zehnmal? Mit der Anzahl seiner Beteiligungen an früheren Amphetaminproduktionen als Koch steigt die Wahrscheinlich seines Wissens um den Apaan-Markt und seiner umfassenden, ggf. sogar alleinigen Tatherrschaft. Die Aufklärungsbemühungen auch der hiesigen Kammer waren diesbezüglich sehr defensiv. Wahrscheinlich hat mal wieder die Zeit gedrängt. Welche Vorsitzende versucht denn sonst noch, regelmäßig zwei haftträchtige Hauptverhandlungen jeweils am gleichen Tag zu erledigen. Man frage Arbeitspsychologen zum unvermeidbaren Abbau der Aufmerksamkeit am Nachmittag und zur tendenziellen Überbewertung der eigenen Aufmerksamkeit. Daran mag es dann auch liegen, dass sich auch die hiesige Kammer vergeblich darum bemüht hat, Herrn D. zur Äußerungen zu den Kauf - bzw. Verkaufswegen und zu den Preisen von Apaan zu bewegen.

Bei genauerer Betrachtung hat Herr D. sowohl der 11. Kammer als auch später der 12. Kammer kaum mehr als Allgemeinplätze geliefert. Man kann an die Stellen, an denen Herr D. Herr R. als Tatbeteiligten nennt, regelmäßig jedwede beliebige Person einsetzen, mit der Herr D. in den wahrscheinlich zahlreichen, Amphetaminproduktionen zusammengearbeitet hat. Immer wird es eine Person gegeben haben, die Apaan oder einen sonstigen Precurser besorgt hat, bzw. eine Person, die vorfinanziert hat und Personen, die an An- und Verkauf der Grundstoffe als Finanziers beteiligt waren. Alle diese erfundenen oder real Beteiligten sind hier aber nicht angeklagt.

Herr D. konnte Herrn R. ohne jede Schwierigkeit gleichsam zum „Kaiser Sosay“ gemacht haben, der Phantom-Figur aus dem Film „Die Üblichen Verdächtigen“. In diesem Film erfindet der eigentliche Täter – und Kronzeuge - eine Figur – Kaiser Sosay - , an deren Täterschaft die Ermittlungsbehörden fest glauben und natürlich nicht zu fassen bekommen, da er tatsächlich ja gar nicht existiert.

Ich will damit sagen, dass es mir so vorkommt, als ob gleich zwei Strafkammern und eine Sonderkommission der Polizei einer Kaiser Sosay-Groteske aufgesessen sein könnten. Immerhin fehlt für die hier verhandelte Anklage jedwedes, Herrn R. betreffende Alleinstellungsmerkmal, das ihn von den Herrn D. bekannten, bei der Amphetaminproduktion sonst eine Rolle spielenden Personen unterscheiden würde. Für wie leichtgläubig muss Herr D. die Ermittlungsorgane und das Gericht gehalten haben, als er allen Ernstes, bis zu seiner – nachgerade – operettenhaft inszenierten Reue den hier mitangeklagten Herrn F. als „Koch“ meinte angeben zu können. Das war keine von Reue getragene, auch noch zu honorierende Großtat! Es war ein überfälliges Geständnis in Bezug auf eine lächerliche, leicht durchschaubare Lüge. Die Frage, der nachzugehen gewesen wäre, ist doch, ob Herr D. nicht Herrn F. durch Herrn R. ersetzt hat, um auf diese Weise zu versuchen, das gleiche Ergebnis – Kronzeugenbonus - zu erlangen, wie mit seiner viel leichter zu durchschauenden falschen Anschuldigung zu Lasten von Herrn F..

Angesichts der aus Sicht von Herrn D. verheerenden Vorgeschichte als permanentem Koch von Amphetaminen und der damit verbundenen Furcht vor einer hohen Strafe hat er durch die alles andere als komplizierte „Erfindung“ – Einführung - des Herr R. als Chef ein weiteres, hier vom Theater her bekanntes – in diesem Verfahren unverständlicherweise erfolgreiches - Mittel zu Hilfe genommen: den „Deus ex machina“, d.h. den hilfreichen Gott aus der Kulisse.

Dieser „Deus“ war Herr R.. Den kannte Herr D. wahrscheinlich nicht nur aus einem Growshop. Auf diese Weise hätte Herr D. jeden seiner Bekannten aus welchen Produktionsprozessen von Amphetamin als Täter ausgeben – und damit der 11. Strafkammer – wie geschehen - Anlass geben, ihn mit dem Kronzeugenprivileg auszustatten. Zur Verfügung stand in diesem Fall offenbar nur Herr R..

Mit schlimmen Folgen für Herrn R.: Herr R. wird im Urteil der 11. Strafkammer, das ihn eigentlich überhaupt nicht gelten darf - weil er dort nicht angeklagt war - bereits zum – wörtlich - „Täter“. Herr D. wird für die Hilfe bei Findung dieses „Täters“ mit dem Kronzeugenbonus belohnt und zusätzlich, ohne jede einschlägige, auch nur andeutungsweise glaubhaft gemachte Vorgeschichte – es gibt nicht einmal eine Haarprobe - , auf Initiative eines Vernehmungsbeamten zusätzlich auch noch mit der Wohltat des § 64 StGB versorgt. Wann beginnt das Misstrauen der hiesigen Kammer – denn es handelt sich um einen merkwürdigen, befremdlichen Vorgang – eine fremde Kammer übernimmt vorweg die Arbeit einer anderen und findet für diese andere Kammer einen „Täter“ - hier Herr R. - unter doppelter Belohnung eines angeblichen Mittäters. Dass das entsprechende, Herr D. geltende Urteil unverzüglich rechtskräftig wird, kann nicht mehr verwundern. Und mit dem rechtskräftigen Kronzeugenbonus, der den eigentlich als Mitbeschuldigten zu behandelnden Herrn D. in unserem Verfahren nunmehr mit allen Zeugenrechten, insbesondere dem Recht auf folgenlose Auskunftsverweigerung nach § 55 StPO versehen hat, hatte nun dieses Gericht zu tun. Stärker als auf diese Weise kann ein fremdes Gericht, d. h. die 11. Strafkammer, nicht auf die eigentlich dem erkennenden Gericht zustehenden Autonomie einwirken. Dies kann eigentlich nur ein Revisions- bzw. Beschwerdegericht. Beides ist aber die 11. Strafkammer im Verhältnis zur 12. Strafkammer sicher nicht.

Die hiesige Kammer kann bzw. müsste – theoretisch, d. h. von Rechtswegen - die im Urteil der 11. Strafkammer getroffenen Feststellungen ignorieren und selbständig die Schuld des Herr R., d. h. unbeeinflusst von der Auffassung und vor allem der rechtskräftigen Installierung eines Kronzeugen durch der 11. Strafkammer, beurteilen. Die Produktion eines Kronzeugen – hier D. -, der sich, wie in diesem Verfahren geschehen, bei Bedarf folgenlos auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen kann und dabei nicht etwa fürchten muss, den angestrebten Kronzeugenbonus zu verwirken, zeigt anschaulich wie nachhaltig die 11. Strafkammer auf die Rechtsfindung der 12. Strafkammer eingewirkt hat.

Ich habe nicht den Eindruck, dass die hiesige Strafkammer diesen Vorgang wirklich ausreichend realisiert hat.

Was sollte zum Beispiel die zeugenschaftliche Vernehmung des Berichterstatters der 11. Kammer, die allerdings offenbart hat, wie wenig sorgfältig sich die 11. Kammer u.a. den Grundlagen der Amphetaminerzeugung genähert hat.

Noch auffälliger, aber vorliegend ohne Bedeutung, war auch, wie kritiklos die 11. Strafkammer sich im Verhältnis zu der Verwertung der sog. Anom-Chats positioniert hat.

Es ist mir ein Rätsel, wie es dazu kommen konnte, ohne Not in gleicher Sache zwei Strafkammer zu beschäftigen, und eine dieser Strafkammer nicht bemerkt haben will, dass ihr Urteil in das noch ausstehende Urteil der anderen Kammer hineinwirken könnte.

In Wahrheit hätten die beiden Verfahren verbunden werden müssen. Sie hätten aus zeitlicher Sicht auch verbunden werden können. Dann wäre eine Konfrontation der Aussage des Herrn D. als Beschuldigtem mit Herr R. als ebenfalls Beschuldigten bzw. dessen Verteidigung gem. Art. 6 Abs. 3 lit. d der EMRK erfolgt, die diesen Namen verdient und den Wert der Aussage des Herren D. hätte in Frage stellen können.

Ein Mitangeklagter wäre konfrontiert worden, ggf. mit der Folge, dass sich nicht beantwortete Fragen auf die Zuerkennung des erstrebten Kronzeugenbonus auswirken könnten. Man erhebe hier nicht den wohlfeilen Einwand, es gebe doch schließlich das Beschleunigungsgebot, weil ein gemeinsames Verfahren gegen alle Tatbeteiligten verzögernd gewirkt hätte. Was ist das Beschleunigungsgebot denn Wert, wenn es zu Lasten eines Mitbeschuldigten die Erforschung der Wahrheit nachhaltig belastet.

Eine Verbindung war möglich und hätte erfolgen müssen. Stattdessen arbeiten zwei Kammern an identischen Vorwürfen und die eine schafft – vorschnell und ohne Rücksicht auf die andere – ein die Wahrheitsfindung der anderen Kammer behinderndes, durch nichts legitimierbares Schein-Präjudiz.

Die, mit dem Gedanken des gerechten Schuldausgleiches nicht vereinbare, insbesondere im Betäubungsmittelstrafrecht alles überschwemmende Kronzeugenregelung wird vorliegend noch dadurch negativ verstärkt, dass die 11. Strafkammer, ablesbar an deren Urteil, vor allem aber auch an der Aussage des dortigen hier vernommenen Berichterstatters, zeigt, dass diese Kammer – warum auch immer – die Suche nach der Wahrheit und das darauf gegründete Bemühen um eine gerechte Entscheidung, nicht mit der gebotenen Intensität verfolgt hat. Ein Berichterstatter, der sich mit der Zusammensetzung von Amphetamin bestenfalls oberflächlich auseinandergesetzt hat, der angeblich nicht versteht, dass ein Zeuge wie Herr R. in einem ihm nicht geltenden Urteil nicht als „Täter“ erscheinen darf, ein Berichterstatter, der bei der Beurteilung des mit Anom bezeichneten Abhörverfahrens – nachlesbar im Urteil der 11. Strafkammer – immer noch der Auffassung ist, Anom und das gleichermaßen als Abhörverfahren eingesetzte Enchro-Chat wiesen im Tatsächlichen keine relevanten Unterschiede auf, muss Befremden auslösen.

Im hiesigen Verfahren hat immerhin ein Beamter des BKA die mit der Auffassung des Berichterstatters verbundenen Fehlannahmen mit wünschenswerter Prägnanz sichergestellt. Unabhängig davon, dass solche Fehldeutungen der 11. Strafkammer von der hiesigen Kammer nicht übernommen wurden, würde sich der Erfolg der Vor-Verurteilung des Herrn R. durch die 11. Strafkammer daran zeigen, dass die 12. Strafkammer die durch die Kronzeugen-Rolle des Herrn D. verfremdete Beweislage nicht berücksichtigt. Sicher kein einfaches Unterfangen.

Was bleibt: man stelle sich vor, Herr D. hätte seine Aussagen in diesem Verfahren als Mit- Angeklagter gemacht und konfrontative Fragen – wie tatsächlich geschehen – derart kärglich beantwortet, wie er dies nunmehr - allerdings im Wissen um eine ihm geltende unangreifbar milde Strafe - gemacht hat. Diese Kammer hätte ihn kaum vergleichbar widerstandslos wie die 11. Kammer mit den Rechtsfolgen des § 31 BtMG beglückt. Was dann geblieben wäre, sind armselige, durch nichts näher konkretisierte, geschweige denn durch Validierung gesicherte Angaben zu einer realen – genauso möglich - aber auch einer fiktiven Person.

Die hiesige Kammer hat das Verfahren – ich bleibe dabei – in Ansehung der Vorarbeit der 11. Strafkammer, ablesbar an der beschlossenen Zweier-Besetzung, offenbar für nicht für sonderlich anspruchsvoll gehalten. Das wäre bedauerlich, kann und sollte die Kammer aber nicht daran hindern, ein Urteil zu sprechen, das den geschilderten Problemen, die die hiesige Kammer in ihrer Entstehung nicht zu vertreten hat, Rechnung trägt. Das verlangt eine mutige Entscheidung, die, was Herrn R. angeht, dem Urteil der 11. Strafkammer diametral entgegenstehen würde.

Mag dann doch die Staatsanwaltschaft die Beurteilung der nach meiner Auffassung wenig rechtsstaatstaugliche Zusammenarbeit zweier Strafkammern des gleichen Gerichts dem BGH antragen. Den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Bedeutung der Wahrheitsfindung wäre durch die parallele, gleichsam kumulative Rechtsfindung zweier Strafkammern in gleicher Sache jedenfalls nicht gedient worden.

Noch eine Anmerkung zum Antrag der Staatsanwaltschaft, dessen Begründung ich nur vom Hören-Sagen kenne – auch insoweit bleibt es bei meiner These, dass § 213 StPO die recht feudale Terminshoheit der Vorsitzenden mitnichten beseitigt hat. Die Pragmatik irgendeines Kalenders beseitigt leichtfüßig eine unmittelbare Auseinandersetzung von Prozessbeteiligten.

In der Sache halte ich das von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafmaß – bei Unterstellung der in Wahrheit sehr fernliegenden Täterschaft des Herrn R. - für maßlos überzogen: Beide Kammern, leider aber auch der Herr Staatsanwalt, haben sich scheinbar nicht näher mit der Wirkung von Amphetamin auseinandergesetzt. In einer vom 2. Senat des BGH noch kürzlich erstellten Randfolge liegt Amphetamin als ungefährlichere Droge hinter Kokain und noch weiter hinter Heroin. Und warum wird nicht erwähnt, bzw. ist nicht bemerkt worden, dass Amphetamin, etwa unter der Bezeichnung Pervitin bis zum Jahre 1988 als lediglich verschreibungspflichtiges Medikament in Handel war, unter gleichem Namen im 2. Weltkrieg an Soldaten in riesigen Mengen zur Angstbindung und Ausdauer verteilt wurde und auch heute noch für Soldaten von der Geltung des BtMG ausgeschossen ist. Jedenfalls das müsste zu Relativierung des Vorwurfs beitragen.

Nun zu meinem Antrag:

Die Lösung des angesprochenen Dilemmas kann aus meiner Perspektive daher nur sein, Herrn R. mangels tauglichen Beweises, d.h. entsprechend der Kargheit bzw. Nicht-Verwertbarkeit der Aussagen des Herrn D. in diesem Verfahren, freizusprechen. Dies beantrage ich hiermit.

Prof. Dr. Klaus Bernsmann, Bernmann Rausch & Partner, Düsseldorf

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